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Hans-Jürgen Malles:
Kennst du Friedrich Hölderlin?

Ein Mensch verbringt seine letzten Jahre in einem Turm...
Das klingt wie ein Schauermärchen? Doch genau dieses Schicksal ereilte einen der berühmtesten Dichter der deutschen Literatur.

Hölderlin in Thüringen

Hölderlin in Thüringen

Tina Romstedt

Dem 1770 am Neckar geborenen Friedrich Hölderlin war von seiner Familie der Pfarrberuf diktiert worden. Beim Studium der Theologie in Tübingen traf er auf Hegel und Schelling, mit denen er freundschaftlich verkehrte. Hölderlin machte keinen Hehl daraus, dass ihm nichts daran gelegen war, tatsächlich Pfarrer zu werden, und suchte nach anderen Geldquellen. Sein Freund Hegel konnte ihm eine Hauslehrerstellung in Waltershausen bei Meiningen vermitteln. Ende des Jahres 1773 trifft Hölderlin im Hause der Familie von Kalb in Thüringen ein.
Hans-Jürgen Malles schreibt in seinem Buch „Kennst du Friedrich Hölderlin?":
„Hölderlins erste Anstellung als Hauslehrer ist eigentlich nicht unangenehm. Vier Stunden täglich - zwei am Vor-, zwei am Nachmittag - unterrichtet er den neunjährigen Fritz von Kalb. Genügend Zeit zum Schreiben bleibt also, und er kann einen beträchtlichen Teil seiner Zeit verwenden, um sich seinem hyperion zu widmen, dem Roman-Projekt, das ihn seit 1792 umtreibt. [...] Seinen Schüler zu Humanität, Vernunft und sittlicher Freiheit zu erziehen, ist Hölderlins erklärtes Ziel. Allein der Optimismus wird von vornherein gedämpft: Offenbar ist sein Zögling bislang nicht so behütet aufgewachsen, um höchsten Erwartungen an dessen Bildung zum Menschen rasch entsprechen zu können."
Hölderlin ist wirklich bemüht um seinen Schüler. Allem Anschein nach ist er jedoch zu ungeduldig und setzt allzu hohe Anforderungen an sich selbst und seinen Einfluss auf den Zögling. Einem Freund beichtet er in einem Brief:
Mein jetziger äußerer Beruf wird mir oft sehr schwer. Dir kann ich es wohl sagen. [...] Es wäre Dir wohl auch sehr unangenehm, wenn Dir eine Hälfte des Tags über einem Unterricht verginge, wobei Du nichts gewännest als etwas Geduld, und die andere Hälfte sehr oft durch die Erfahrung, dass der andere nichts dabei gewinnt, beinahe unnütz für dich gemacht würde.
Im Gegensatz zu seinen Höhenflügen in der Dichtkunst, dem Aufstieg seines Geistes in die göttlichen Sphären, erscheinen ihm seine pädagogischen Bemühungen und Erfolge gering und nichtig, trivial und alltäglich. Hans-Jürgen Malles schreibt wie folgt:
„Hölderlins Anspruch als Pädagoge kollidiert heftig mit seinem Willen, sich zum Künstler zu bilden, als Dichter Anerkennung zu finden. Ein intellektuelles Dilemma dies. Eine schon länger geplante Reise soll das spannungsvolle Verhältnis zwischen Lehrer und Schüuuml;ler entkrampfen helfen. [... Zudem wird sie] ihn in die Nähe der »Großen«, in die Nähe Schillers und Goethes führen."
Hölderlin reist Ende 1794 nach Jena und besucht an der Universität Fichtes Vorlesungen, sucht Kontakt zu Schelling und Hegel und wird mit Schiller bekannt. Er löst sich vom Hause von Kalb, um fortdauernd in Jena zu verweilen.
Doch auch hier scheint er an der Realität zu scheitern, die seinem Anspruch meilenweit hinterher hinkt. Bereits im Mai des kommenden Jahres reist er Hals über Kopf von Jena ab. Vermutlich trieben ihn Versagensängste zu dieser Flucht. Monate später versucht er sich in einem Brief an Schiller zu erklären:
Es ist mir oft wie einem Exilanten, wenn ich mich der Stunden erinnere, da Sie sich mir mitteilten, ohne über den trüben oder ungeschliffenen Spiegel zu zürnen, worin Sie Ihre Äußerung oft nimmer erkennen konnten. Ich glaube, dass dies das Eigentum der seltenen Menschen ist, dass sie geben können, ohne zu empfangen, dass sie sich auch »am Eise wärmen« können. Ich fühle nur zu oft, dass ich eben kein seltner Mensch bin. Ich friere und starre in dem Winter, der mich umgibt. So eisern mein Himmel ist, so steinern bin ich. Auf den Oktober werd ich wahrscheinlich eine Hofmeisterstelle in Frankfurt beziehen.

 

 

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Textquelle: Hans-Jürgen Malles "Kennst du Friedrich Hölderlin?"

Bildquelle: Franz Karl Hiemer "Friedrich Hölderlin". gemeinfrei, wikipedia

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