Thüringen-Lese

Gehe zu Navigation | Seiteninhalt
Thüringen-Lese
Unser Leseangebot

Krabat

Florian Russi | Andreas Werner

Krabat ist die bekannteste Sagenfigur aus der Oberlausitz. Das Müllerhandwerk und das Zaubern hatte er vom "schwarzen Müller" erlernt, von dem man gemunkelte, dass er mit dem Teufel im Pakt stand. Irgendwann musste es zum Machtkampf zwischen Meister und Schüler kommen.

Die Hauptwirkungsstätte Krabats war die Mühle in Schwarzkollm, einem Dorf, das heute zu Hoyerswerda gehört. Die Mühle besteht noch und hat nach umfänglicher Restaurierung nichts von ihrer Romantik und Magie verloren. Seit 2012 finden hier die Krabat-Festspiele statt.

Die Alte vom Hexenberg

Die Alte vom Hexenberg

Florian Russi

In alter Zeit lebte in Bergern ein kleines Mädchen allein mit seiner Mutter. Eines Tages wurde die Mutter krank, und das Mädchen sagte: »Ich werde gehen und einen Arzt herbeiholen. «

»Wir haben weder Geld für einen Arzt noch für die notwendige Medizin. «, antwortete die Mutter. Da lief das Mädchen zu einem Haus am Rande des Dorfes. Darin wohnte eine alte Frau, von der man erzählte, dass sie im Wald Heilkräuter sammelte.

»Lass mich deine Mutter sehen«, forderte die Alte, »dann werde ich für sie einen heilenden Tess brauen. «

Gesagt, getan. Nach wenigen Tagen wurde die Mutter wieder gesund, und die Tochter sagte zu der alten Frau: »Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll. Sag mir, was ich tun kann, und ich werde es tun. « Da antwortete sie: »Ich werde nun schon bald 80 Jahre alt, da ist es höchste Zeit, dass ich das Wissen über die Heilkräuter, das ich von meiner Großmutter geerbt habe, an einen jungen Menschen weitergebe. Komm also zu mir in die Lehre und hilf auch du den Menschen, die arm und krank sind. «

Die Mutter hatte Bedenken. »Man erzählt sich, du seiest eine Hexe«, sagte sie besorgt zu der Alten.

»Was ist das, eine Hexe? « erwiderte diese. »Nur weil ich die heilende Kraft von Kräutern kenne, will man mir absprechen, ein richtiger Mensch zu sein?«

»Manche behaupten, du könntest durch die Luft fliegen«, erwiderte die Mutter.

»Selbstverständlich kann ich das, wie soll ich sonst meinen Beruf ausüben? Im ganzen Land ruft man mich um Hilfe an. Oft muss ich ganz schnell zur Stelle sein. Manchmal brauche ich frische Kräuter, die nur weit entfernt im Thüringer Wald zu finden sind. Außerdem muss ich mich bei anderen Heilkundigen fortbilden und Erfahrungen austauschen. Deshalb besuche ich Kongresse in München und Paris. Also bin ich darauf angewiesen, fliegen zu können. «

Das leuchtete der Mutter ein, und sie war einverstanden, dass ihre Tochter zu der Kräuterhexe in die Lehre ging.

Das Mädchen war sehr fleißig und gelehrig, und schon bald konnte es der alten Frau helfen, Tees und Heilsalben gegen viele Krankheiten herzustellen. Doch dann brach in der Gegend eine schwere Epidemie aus, und viele Menschen bangten um ihr Leben.

Immer mehr besorgte Mütter, Vater und Kinder klopften an der Tür der Alten an und riefen: »Bitte komm und hilf uns. «

»Das schaffe ich nicht mehr allein«, stöhnte die Alte. »Wer also Hilfe braucht, mussbereit sein, selbst zu lernen, mit Kräutern umzugehen. «

Deshalb mietete sie an der Stelle, wo heute die Forstschule steht, ein großes Haus.

Hier unterrichtete sie viele junge und auch ältere Menschen in Kräuterkunde. Im Dorf aber wurde das Gebäude bald »Hexenschule« genannt. In ihren besten Zeiten lernten dort mehr als hundert Schülerinnen und Schüler.

Eines Tages sagte die Alte zu ihren Zöglingen: »Nun kennt ihr den richtigen Umgang mit Kräutern, jetzt müsst ihr auch noch fliegen lernen. Das ist gar nicht so schwer, man braucht ein wenig Übung dazu und den richtigen Besen. «

Im benachbarten Ort Tannroda, wo viele Weidenflechter ansässig waren, wurden daraufhin unter Anweisung der alten Frau etliche dutzend Besen geflochten.

»Nun will ich euch zeigen, wie man fliegt«, sagte sie, klemmte einen Besen zwischen die Beine, hielt den Stil am oberen Ende mit beiden Händen fest und sagte: »Auf, auf. « Dann flog sie langsam den Hang des Berges hinauf, an dem der Ort Bergern liegt, entlang des Weges, der zum Wasserspeicher führt. Links und rechts dieses Weges standen Ebereschen, genau dort, wo viele Jahre später Max und seine Freunde wieder solche Bäume gepflanzt haben. »Das ist die ideale Übungsstrecke zum Fliegen«, rief die Alte, und ihre Schüler machten es ihr nach. Wenn sie nur fest daran glaubten, konnten auch sie bald übers Land fliegen und dabei immer geschickter Spiralen drehen.

Nachdem alle Schüler das Fliegen erlernt hatten, bauten sie am Ende des Wegs eine Hütte und feierten dort ein Fest.

Im Volksmund aber wurde der Berg seither »Hexenberg« genannt, und der Hütte gab man den Namen »Hexenberghütte«.

Die Alte und ihre Schüler hatten rund um die Uhr zu tun, so viele Krankheiten gab es und so viele Menschen, die Hilfe brauchten. Niemand störte sich daran, dass sie nun Hexen hießen und nichts anderes mehr sein wollten.

Einmal im Jahr, in der Nacht zum 1. Mai – der Walpurgisnacht – trafen sich die Hexen aus der ganzen Umgebung auf dem Hexenberg. Ein reger Austausch herrschte bald auch zwischen dem Hexenberg in Bergern und dem Brocken im Harz. Dort wurde alle zwei Jahre in der Walpurgisnacht ein internationales Hexenfest veranstaltet.

Bei klarem Wetter konnten die Hexen von Bergern bei ihren Flügen über die Ebereschenallee bis zum Brocken sehen. Mit den dortigen Hexen hatte man Signale vereinbart, mit denen man sich verständigte. Eine einzige Wolke am Himmel bedeutete, wir brauchen euren Rat, drei Wolken bedeuteten die Aufforderung, sich zu treffen. Sturmwind hieß, wir haben eine Schwierigkeit gelöst, klarer Sonnenschein, dass es keine Probleme gab. Übler Geruch aber war ein deutlicher Notruf: »Wir brauchen dringend eure Hilfe. «

So herrschte ein buntes und munteres Treiben auf dem Hexenberg. Doch es dauerte nicht lange, bis sich manchen daran störten.

»Die Hexen vertreiben das Wild«, klagte die Jäger und gaben, wenn die Hexenschüler auf der Anflugbahn übten, Warnschüsse in die Luft ab. Einer der Jäger war ein Graf, der auf einem nahe gelegenen Schloss wohnte. Ihn ärgerte es schon, dass die Hexen sich freuten und miteinander scherzten, wenn sie über das Gelände flogen. So beschloss er, die Alte vom Hexenberg verhaften zu lassen und, wie es damals gang und gäbe war, sie anzuklagen, damit sie qualvoll auf einem Scheiterhaufen verbrenne.

Als die nächste Walpurgisnacht bevorstand und die Hexen sich auf dem Brocken versammelten, nutzte der Graf die Gunst der Stunde. Er ließ die gebrechliche Alte, die zu Hause geblieben war, von seinen Schergen festnehmen,um ihr den Prozess wegen Hexerei zu machen. Was sie zu ihrer Verteidigung vorbrachte, wollte er gar nicht hören. »Du bist eine Hexe, und Hexen gehören auf den Scheiterhaufen«, erklärte er. Seine Soldaten wies er an, Holzreisig aufzuschichten und die Alte an einen Stamm zu fesseln.

»Ich hab nie jemandem etwas Böses getan«, jammerte die Alte, doch der Graf und seine Gesellen lachten und feixten nur über die unglückliche Frau.

Was der Graf nicht wusste, war, dass das Mädchen, das als erst e bei der alten Frau in die Lehre gegangen war, sich nicht wohl gefühlt hatte und deshalb ebenfalls nicht zum Brocken geflogen, sondern zu Hause in Bergern geblieben war. Als es davon hörte, dass man ihre Lehrmeisterin verhaftet hatte, wandte es alles an Zauberkünsten an, was es in der Hexenschule gelernt hatte. Schon bald verbreitete sich auf dem Brocken ein widerlicher Geruch. »Entweder ist hier ein Drache in der Nähe oder auf dem Hexenberg droht höchste Gefahr«, stellte einer der anwesenden Hexenmeister fest. Auf seine Worte hin setzten sich alle in Bewegung, und bald war der Himmel erfüllt von herumschwirrenden Hexen.

Als die ersten in Bergern eintrafen, hatten die Schergen gerade den Reisighaufen unter der Alten angezündet. Sofort stießen die ersten Hexen nieder und versuchten das Feuer auszublasen. »Um Himmels Willen«, rief da das Mädchen, »so facht ihr das Feuer zusätzlich an. Ihr müsst alle zur gleichen Zeit und aus verschiedenen Richtungen pusten. Nur dann wird das Feuer erlöschen. «

Plötzlich verdunkelte sich der Himmel über dem Hexenberg. Tausende Hexen trafen ein, schwebten zum Scheiterhaufen herab und bliesen zugleich aus allen vier Himmelsrichtungen auf das Feuer ein. Da erlosch es, und der Graf und seine Soldaten flohen voller Angst in den Wald. Der Frau aber nahm das Mädchen die Fesseln ab und führte sie zurück ins Dorf.

Viele Tage lang feierte man in Bergern die Befreiung der »Alten vom Hexenberg«, wie sie von da an respektvoll von allen genannt wurde.

»Wenn ich dir doch anders hätte danken können«, sagte das Mädchen. »Jetzt aber bin ich froh, dass du lebst und bei uns bist. «


*****

Bildquelle:

Vorschaubild: Hexentanzplatz in Trier (Flugblatt, 1594), Urheber: unbekannt; Quelle: R.Decker: Hexen, 2004, S.56 via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

Johann Friedrich Löwen: Die Walpurgis Nacht. Ein Gedicht in drey Gesängen, 1756, Quelle: Georg von Gynz-Rekowski, Hermann D. Oemler: Brocken. Historie, Heimat, Humor. Gerig Verlag, Königstein/Taunus 1991 via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

Titelbild entnommen von: Brüggemann, Fritz; Thomasius, Christian; Weise Christian: Deutsche Literatur: Reihe Aufklärung, erster Band: Aus der Frühzeit der deutschen Aufklärung, Leipzig, 1928.

Textquelle:

Entnommen aus: Russi, Florian: Der Drachenprinz, Weimar: Bertuch Verlag, 2004, S.22-27.

Weitere Beiträge dieser Rubrik

Das Waldmädchen
von Florian Russi
MEHR
Der Graf von Gera
von Florian Russi
MEHR
Werbung:
Unsere Website benutzt Cookies. Durch die weitere Nutzung unserer Inhalte stimmen Sie der Verwendung zu. Akzeptieren Weitere Informationen