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Ludwig Bechstein

Ludwig Bechstein

Sebastian Keßler

Nein, eine glückliche Kindheit soll er nicht gehabt haben, der kleine Louis Clairant Hubert Dupontreau. Lassen wir also die Geburt als unehelicher Sohn einer Beamtentocher und eines dahergelaufenen Franzosen schnell hinter uns. Überspringen wir auch die Jahre bei seiner Pflegemutter, welche vom Alter durchaus seine Uroma hätte sein können. Lassen wir diese freud- und lieblose Kinderstube schnell hinter uns und machen wir einen Sprung in das Jahr 1810:

Napoleon lässt sich von seiner Joséphine scheiden, Kronprinz Ludwig begeht mit seiner Hochzeit in München das erste Oktoberfest, Geothe veröffentlicht seine Farbenlehre und die Konservendose wird patentiert. In dieser Zeit verliert das Ehepaar Bechstein aus Dreißigacker sein einziges Kind. Der Schmerz sitzt tief, da erinnert sich Johann Matthäus Bechstein an seinen kleinen Neffen Louis. Der ist inzwischen neun Jahre alt und besucht das Wilhelm-Ernst-Gymnasium in Weimar.

Bechstein, Gründer und Direktor der herzoglichen Forstakademie in Dreißigacker, holt den Neffen zu sich, nennt ihn fortan Ludwig und schickt ihn auf das Lyzeum in Meiningen. Ob der Knabe hier ein besonders guter oder schlechter Schüler ist, darüber scheiden sich die Geister. Fakt ist, dass Ludwig Bechstein die Schule vorzeitig verlässt. Einige Quellen schreiben dies seinem mangelnden Ehrgeiz zu. Andere behaupten, ein Schmähbrief sei dem Knaben zum Verhängnis geworden.

Seinem Onkel gelingt es jedenfalls, Ludwig bei einem arnstädter Apotheker in die Lehre zu schicken. Voller Wissbegier freut sich der Eleve auf das mischen von Arzneien und das Experimentieren mit geheimnisvollen Substanzen. Doch statt die Geheimnisse des Apothekerberufes zu ergründen beschriftet er vier Jahre lang Tüten, füllt Dosen und Kapseln auf und zerkleinert Pflanzenteile. Trotz der Enttäuschung bleibt Bechstein nach seiner Ausbildung Apotheker und wird 1826 Provisor der Schwan-Apotheke in Salzungen. Hier begegnet er seiner späteren Frau Caroline Wiskemann.

Der medizinische Beruf bleibt für Bechstein ein notwendiges Übel zum Broterwerb. Viel lieber schreibt er Erzählungen, Gedichte und vor allem Sonettenkränze.

An dieser Stelle sei ein kleiner Exkurs in die Lyrik gestattet:

Das Sonett ist eine besondere Gedichtform mit vier Strophen. Zwei Vierzeilern folgen zwei Dreizeiler, so dass ein Sonett insgesamt 14 Zeilen hat. Einen Sonettenkranz bilden 14 solcher Gedichte, wobei die Schlusszeile eines jeden Gedichtes mit der Anfangszeile des folgenden identisch ist. Die Schlusszeilen aller 14 Sonette bilden wiederum ein neues, das Meistersonett. Alles klar?

Klar ist, dass ein solcher Sonettenkranz  von seinem Schöpfer eine gewisse Kunstfertigkeit verlangt, die Bechstein mit seinen im Jahr 1828 veröffentlichten Sonettenkränzen unter Beweis stellt.

Begeistert von den komplexen Gedichten ruft Herzog Bernhard von Sachsen-Meiningen den jungen Bechstein zu sich. Der Fürst lässt den Apotheker auf Staatskosten Literatur, Geschichte und Philosophie studieren und holt ihn 1831 als Bibliothekar an den Meininger Hof.  Hier hat Ludwig Bechstein endlich Zeit für seine Leidenschaft, die Literatur. Auch kann er 1832 seine Caroline heiraten. Doch die glückliche Ehe hält nur zwei Jahre.

Kurz nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes Reinhold stirbt Bechsteins große Liebe an einem Lungenleiden. In seiner Trauer begibt sich der Lyriker auf eine lange Reise nach Belgien und Frankreich. Doch selbst eine Begegnung mit Heinrich Heine kann nicht verhindern, dass Ludwig Bechstein bis 1843 keine Gedichte mehr verfasst.

Wieder in der Heimat heiratet Bechstein 1836 erneut. Seine zweite Frau, Therese Schulz, schenkt ihm sieben Kinder, von denen jedoch nur drei das Erwachsenenalter erreichen. Indes steigt Bechstein Sprosse für Sprosse die Karriereleiter empor. 1840 wird er zum Hofrat ernannt und 1842 von den Freimaurern in die „Loge zu den drei Nelken" aufgenommen.

Die erste Auflage seines Deutschen Märchenbuches erschien 1845. Zu dieser Zeit lesen Eltern ihren Kindern bereits seit 30 Jahren aus den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm vor. Dennoch stellt Bechstein seine berühmten Kollegen weit in den Schatten. Bis 1852 werden von seinen Deutschen Märchenbüchern mehr als 70.000 Exemplare verkauft. Diesen Erfolg hat Ludwig Bechstein nicht zuletzt seinen ausgezeichneten Kontakten zu verdanken.

Mit der Gründung des Hennebergischen altertumsforschenden Vereins im Jahr 1832 hatte sich Ludwig Bechstein sein eigenes Instrument für die Öffentlichkeitsarbeit geschaffen. Der Verein macht mit seiner umfangreichen Sammlung von Antiquitäten, zahlreichen Vorträgen und Publikationen sowie der Korrespondenz zu Gelehrten in der ganzen Welt immer wieder auf sich und seinen Direktor Ludwig Bechstein aufmerksam.

Bechstein ist ein Netzwerker und ein Workaholic. Für seine Bücher sammelt er rund 150 Märchen und mehr als 2.000 Sagen. Er schreibt wissenschaftliche Abhandlungen, Libretti, Gedichte und Novellen. Noch von schwerer Krankheit gezeichnet lässt er die Feder bis zu seinem Tod am 14. Mai 1860 nicht ruhen.

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