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Bismarck in Jena

Bismarck in Jena

Christoph Werner

Die Punch-Karikatur "Der Lotse geht von Bord" von Sir John Tenniel (1890)
Die Punch-Karikatur "Der Lotse geht von Bord" von Sir John Tenniel (1890)

Männer machen wohl doch Geschichte, meine Leserinnen und Leser, wenn man sich das Beispiel Otto von Bismarcks (1815-1898) vor Augen führt. Er war eine so beherrschende Gestalt im neugegründeten Deutschen Reich geworden, dass Wilhelm II. ihn nicht mehr neben sich oder als Gestalter von Politik gar über sich dulden wollte. Er entließ ihn, oder nach den Regeln der damaligen Zeit, nahm er sein Abschiedsgesuch am 20. März 1890 zustimmend zur Kenntnis. Bismarck schreibt zu den Folgen:

„Ich muß es als eine Laune des Zufalls ansehen, und die Geschichte wird es vielleicht verhängnisvoll nennen, als am Vormittage desselben Tages (am 17. März 1890, mitten in der Entlassungskrise) der in der Nacht aus Petersburg eingetroffene Botschafter Graf Paul Schuwalow sich bei mir mit der Erklärung meldete, er sei ermächtigt, in gewisse Vertragsverhandlungen einzutreten, und daß diese Verhandlungen sich demnächst zerschlugen, als ich nicht Reichskanzler blieb.“

Es handelte sich um die Erneuerung des deutsch-russischen Rückversicherungsvertrages. Drei Tage später lehnte der neue Kaiser die Erneuerung des Vertrages ab. Russland suchte sich einen neuen Freund, Frankreich.

Während die Hofkamarilla um den Kaiser und die ihr hörige Presse triumphierten, fragten sich viele Deutsche besorgt, was ohne den Reichsgründer nun werden sollte. Dieser erfuhr nach seiner Entlassung eine zu seinen Amtszeiten nie erlebte nationale Zustimmung. Das zeigte sich besonders eindrucksvoll, als Bismarck im Jahre 1892 zur Hochzeit seines ältesten Sohnes Herbert nach Wien reiste und dabei in allen Städten, die er berührte, begeisterte Kundgebungen erfuhr, so auch in Jena, wo er in seiner Rede auf dem Marktplatz unter anderem sagte (und sich dabei auf die verfassungsmäßige Verantwortung für alles Regierungshandeln bezog, die nicht beim Monarchen, sondern beim Kanzler oder Ersten Minister liege):

„Ich will Sie nur an ein Beispiel aus den Werken des großes Geistes, dessen Manen uns hier auf dieser Stätte umschweben, erinnern. Goethe stellt uns in seinem ‚Götz von Berlichingen’ einen kaisertreuen Ritter dar, der für seinen Kaiser eine solche Verehrung und Anhänglichkeit hat, daß er einen kaiserlichen Rat mit den Worten bedrohte: „Trügest du nicht das Ebenbild des Kaisers, daß ich in dem besudelten Konterfei verehre!“ - Dieser Ritter trug keine Bedenken, als ihn der Hauptmann zur Übergabe aufforderte, diesem eine scharfe Kritik aus dem Fenster entgegenzurufen. Es zeigte sich klar, daß Götz von Berlichingen und Goethe beide Sachen nicht zusammengeworfen und identifiziert haben. Man kann ein treuer Anhänger seiner Dynastie, des Königs und des Kaisers sein, ohne von der Weisheit der Maßregeln seiner Kommissare – wie es im ‚Götz’ heißt, überzeugt zu sein.“

Bismarcks Bewertung in der deutschen Geschichte, meine Leserinnen und Leser, änderte sich entsprechend den politischen Verhältnissen nach ihm. Doch auf Deutschlands mühevollem und auch schuldbeladenem Weg zu einem geachteten Platz in der Gemeinschaft der Völker, zu einer gefestigten Demokratie, einer menschenwürdigen Verfassung, einer vorbildlichen Sozialgesetzgebung und zu wirtschaftlichem Wohlstand der Mehrheit der Menschen spielte Fürst Otto von Bismarck eine – nehmt alles nur in allem – entscheidende Rolle.

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Literatur:

Bismarck, Otto Fürst von. 1911. Gedanken und Erinnerungen. Volksausgabe, Erster und Zweiter Band. Stuttgart und Berlin: J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger.

Biographisches Lexikon zur Deutschen Geschichte. Herausgeberkollektiv. 1971. Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften.

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