Den Älteren unter uns, meine Leserinnen und Leser, die noch zu DDR-Zeiten in die Schule gegangen sind, ist wohl der Name und teilweise das Werk des dänischen Schriftstellers Martin Andersen vertraut. Er nannte sich später Martin Andersen Nexö, um nicht mit einem der vielen Andersens, die es in Dänemark gibt und vor allem nicht mit Hans Christian Andersen, dem berühmtesten dänischen Dichter, verwechselt zu werden. Der Name Nexö ist dem Ort Nexö auf der Insel Bornholm entlehnt, in den die Familie 1877 umzog.
Es gibt merkwürdige und interessante Parallelen zwischen Andersen Nexö und dem Märchendichter Hans Christian Andersen (über den Sie mit Hilfe dieses Links auf der Seite der Weimar-Lese etwas erfahren: http://www.weimar-lese.de/index.php?article_id=335
Als Martin Andersen am 26. Juni 1868 in Kopenhagen geboren wurde, hatte Hans Christian Andersen, der am 4. August 1875 in Kopenhagen starb, noch sieben Jahre zu leben. Beide stammten aus ärmlichsten Verhältnissen, der Märchendichter war der Sohn eines armen Schuhmachers und einer Waschfrau in Odense, Martin Andersens Eltern waren der Steinhauer Hans Jörgen Andersen von der Insel Bornholm und die Schmiedstocher Mathilde Mainz von der Insel Falster, deren Vorfahren aus Deutschland stammten. Martin war das vierte von elf Kindern und wuchs in einem der ärmsten Arbeiterviertel von Kopenhagen auf. Sein Vater verkam zu einem hoffnungslosen Trinker. Martin selbst war von labiler Gesundheit.
Wie bei Hans Christian Andersen spielten auch im Leben Martin Andersens reiche Gönner und staatliche bzw. königliche Zuwendungen eine entscheidende Rolle. Nach Teilnahme an den Winterkursen von 1889/90 und 1890/91 an der kleinen Bornholmer Heimvolkshochschule konnte Martin Andersen, finanziell abgesichert durch staatliche Zuwendungen und private Gönner, die zwei darauffolgenden Winterlehrgänge an der bedeutendsten dänischen Heimvolkshochschule in Askov auf Jütland besuchen.
Im Mai 1893 wurde er Lehrer an der kleinen Privatschule in Odense auf der Insel Fünen, just dem Ort, in dem Hans Christian Andersen im Jahre 1805 geboren wurde und seine Kindheit und einen Teil seiner Jugend erlebte.
Während dieser Zeit entstanden erste literarische Versuche, unter anderem seine später so berühmt gewordene Geschichte „Der Lotterieschwede", die wegen ihrer sozialkritischen Grundstimmung auf wenig Verständnis stieß und erst viele Jahr später gedruckt wurde.
Im Winter von 1910 auf 1911 hielt sich Andersen Nexö in Finsterbergen im Thüringer Wald auf. Die Eindrücke aus dieser Zeit verarbeitete er in der 1916 erschienenen Erzählung „Die Puppe".
Ich bin für Sie, meine Leserinnen und Leser, nach Finsterbergen, jetzt ein Ortsteil von Friedrichroda, gefahren, wo die Erinnerung an Nexö durch Hinweise und Tafeln und Erzählungen der Finsterbergener noch lebendig ist.
So kann man in der seit 1904 bestehenden und sehr reichhaltig und geschmackvoll sortierten Fleischerei Oschmann dem Gedanken nahetreten, dass Nexö während seines Aufenthaltes hier Kunde gewesen sein mag.
Und im Gastraum des Spießberghauses in 900 m Höhe findet sich eine Tafel mit den durch die Erzählung „Die Puppe" berühmt gewordenen Worten über den Thüringer Wald:
So schön wie der Thüringer Wald ist wohl kein anderer Wald auf dieser Erde.
Im Text der Erzählung geht es weiter:
Wie eine Welt für sich liegt er da, hoch unter den Himmel emporgehoben, erdrückend düster oder auch festlich in weißen Schnee gekleidet, und scheint alles von des Himmels Zorn und des Himmels Gnade zu haben.
Nexö betrachtete sich als Sozialisten, und es ist nicht bekannt, dass er sich kritisch mit den undemokratischen Verhältnissen in der DDR, in der er seit 1951 mit seiner Familie wohnte und vielfach geehrt wurde, auseinandergesetzt hat.
Sein Dichtertum hat sich jedoch nie seiner Ideologie, wenn man sie so nennen darf, untergeordnet, und so empfiehlt es sich, seine von Menschenliebe geprägten Erzählungen und Romane wieder zu lesen.
Am 1. Juni 1954 starb Martin Andersen Nexö in Dresden. Begraben liegt er auf dem Assistens-Friedhof in Kopenhagen, nicht weit von seinem Landsmann Hans Christian Andersen.
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Eine Auswahl von Werken Nexös:
Sühne (1902), Pelle der Erober (ab 1912), Ditte Menschenkind (ab 1920), Morten der Rote (1945).
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Vorschaubild: Deutsche Fotothek
Fotos: Christoph Werner