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Der Traum des Mauerseglers

Berndt Seites Gedichte schätzen die Kraft des Moments. Sie tauchen in ihn ein, entdecken Höhen und Abgründe und legen dabei Vers für Vers frei, wie wir durch das Leben gehen, wer wir sein wollen und wer wir – manchmal wider Willen – dabei werden.

Es sind Gedichte, die träumen, schimpfen und scherzen, sie führen uns von leisen Beobachtungen hin zu den ersten Fragen, die damit ringen, womöglich zu den letzten zu gehören.

Herzog Christian von Sachsen-Eisenberg

Herzog Christian von Sachsen-Eisenberg

Hans-Joachim Böttcher

Eisenberg‘s Geistererscheinungen

Anna von Sachsen
Anna von Sachsen

In den hochadeligen Herrscherfamilien gab es in der Vergangenheit unzählige traurige Frauenschicksale. Wenige davon entwickelten sich jedoch zu solch einer Lebenstragödie, wie die von Anna Prinzessin von Sachsen Herzogin zu Sachsen (1567–1613). Geboren wurde sie als Tochter des sächsischen Kurfürsten August und seiner Gemahlin Anna von Dänemark in Dresden. 1586 ging die Prinzessin mit Johann Casimir Herzog von Sachsen-Coburg die Ehe ein. Wenngleich das von ihrer Seite aus Liebe geschah, so doch nicht von ihrem Gemahl. Wohl weniger da sie körperlich leicht verwachsen war, sondern auf Grund des ausbleibenden Kindersegens entwickelte er ihr gegenüber ein zunehmend ablehnendes Verhalten. Der von dem Herzog an den Coburger Hof geholte italienische Abenteurer Graf Scottus, der als charmanter Magier sowie Alchemist sich in das Vertrauen Annas einschlich, nutzte die Situation schmählich aus. Er gaukelte ihr vor, ihren Kinderwunsch Realität werden zu lassen und verführte sie unter mysteriösen Umständen. Auch brachte er sie um große Vermögenswerte. Bevor Scottus Coburg verließ, richtete er bösartiger Weise noch mehr Unheil an. Unter merkwürdigem Gebaren arrangierte er zwischen ihr und dem Höfling Lichtenstein ein Verhältnis. Nach dessen Aufdeckung begann für Anna ein fast zwei Jahrzehnte währender Leidensweg in strenger Haft, der erst mit ihrem Tod 1613 endete.

In der Erinnerung breiter Bevölkerungskreise Frankens sowie Thüringens blieb das traurige Schicksal Annas auch lange nach dem Tod aller Beteiligten unvergessen. Beigetragen hatte dazu sicher „Johann Altenburgers wahrhaftiger Bericht …“ über ihre letzten Lebenstage. Insbesondere verursachte die Ungerechtigkeit und unversöhnliche harte Haltung Johann Casimirs gegen seine ehemalige Gemahlin im Gedächtnis der Menschen einen anhaltenden Unwillen gegen ihn. Das begünstigte die Herausbildung der Legende, dass ihr Geist in der Gruft der Kirche Sonnefeld keine Ruhe gefunden habe und darum spukend herumwandeln müsse.

Ab 1675 regierte in einem kleinen Teil Thüringens, als einer der weitläufigen Erben der sich immer mehr im Laufe der Zeit besitzrechtlich zersplitternden Ernestinischen Lande, Herzog Christian von Sachsen-Eisenberg (1653–1707). Er war ein Mann, der sich im reiferen Alter mit Herz und Verstand völlig der Alchemie hingab. Die meiste Zeit verbrachte er in seinem Laboratorium, im Eisenberger Schloss Christiansburg, bei Experimenten sowie mit Meditationen. Neben realer nützlicher Forschungsarbeit war sein Hauptziel, wie aller Alchemisten, das Geheimnis der Herstellung des Steines der Weisen zu lösen. Um das zu erreichen pflegte er bemerkenswerter Weise europaweit mit diversen Forschern auf dem Gebiet einen intensiven schriftlichen Gedankenaustausch. Neben der Beschäftigung mit Fragen der Alchemie setzte der Herzog sich jedoch auch zunehmend mit dem Geisterwesen auseinander. Dabei verirrte sich sein Intellekt im Laufe der Jahre immer mehr. Das wirkliche Leben begann ihm schließlich so fremd zu werden, dass er Realität und Fiktion nicht mehr auseinander zu halten vermochte. Für ihn wurde nicht nur die Existenz von Geistern zu einer realen Tatsache, sondern sogar, dass er mit ihnen seit 1696 in Kontakt stände. Natürlich ging es dabei um gewaltige unterirdisch versteckte Schätze, die sie ihm zu beschaffen versprachen; denn die brauchte er dringend, da er sein kleines Land völlig verschuldet hatte.

Johann Casimir von Sachsen-Coburg
Johann Casimir von Sachsen-Coburg

Es war im Jahr 1705, als sich eines Tages offensichtlich einige Leute am herzoglichen Hof in Eisenberg mit dem Lebensdrama von Anna von Sachsen auseinander setzten, wobei die Anwesenden über deren Gründe unterschiedlicher Meinung waren. Warum nun auch immer hatte das zur Folge, dass diese Personen den Entschluss fassten, für Herzog Christian ein merkwürdiges Schauspiel aufführen zu lassen. Bald wurde der Plan in die Tat umgesetzt.

Als er eines Tages nach dem Mittagessen in seinem Kabinett auf dem Bett liegend im tiefen Nachsinnen versunken war, klopfte es unerwartet an der Tür. Hereingerufen, trat eine Dame in altfürstlicher Kleidung ins Zimmer. Sie stellte sich als Anna von Sachsens Geist vor und bat Christian, dass er sie mit dem Geist ihres ehemaligen Gemahls Johann Casimir versöhnen möge. Der offenbar sehr gern diskutierende Herzog führte vielerlei Einwände gegen diesen Auftrag an, welche die Dame jedoch widerlegte. Nachdem er sich von ihr acht Tage Bedenkzeit erbeten hatte, verabschiedete sie sich.

Christian war wohl mehr über das Anliegen des Geistes, als über dessen Erscheinung gerade in seinem Kabinett erschüttert. Denn für ihn stellte das Ereignis einen ganz natürlichen, realen Vorgang dar, an dessen Echtheit ihm auch nicht der geringste Zweifel kam. Unverzüglich schrieb er an den für ihn in jeglichen religiösen sowie geistigen Fragen als Autorität geltenden Superintendenten Hoffkuntze in Torgau. Diesem das Geschehen ausführlich darstellend, trug der Herzog ihm die Frage vor, ob er die Bitte des Geistes erfüllen solle, oder eben nicht, falls sich die Erscheinung nach acht Tagen wiederholen sollte.

Dr. Christian Hoffkuntze war zu jener Zeit einer der Lieblingsprediger, der auf ihren Witwensitz Lichtenburg in Prettin lebenden Kurfürstinwitwen Anna Sophia von Sachsen sowie ihrer dort ebenfalls wohnenden Schwester Wilhelmine Ernestine von der Pfalz. Beide ließen ihn öfters zu sich kommen. Jedoch auch die sich vorrangig in Torgau sowie im nahen Pretzsch aufhaltende Kurfürstin von Sachsen und polnische Titularkönigin Christiane Eberhardine, die Gemahlin August des Starken, rief den Prediger immer wieder zu sich. Zudem stand dieser mit vielen Fürstlichkeiten in Briefverkehr.

Als ein Mensch seiner Zeit glaubte auch Hoffkuntze fest an Geister und war in dieser Hinsicht darum ohne jeglichen Argwohn, gegenüber dem was ihm Herzog Christian über seine gehabte Erscheinung geschrieben hatte. In seinem Antwortschreiben riet er ihm deshalb ,die Bitte des Geistes zu erfüllen. Um diese zu einem Erfolg zu führen, gab er Christian die genauesten Verhaltensinstruktionen, für das Führen der Versöhnungsverhandlungen.

Dem entsprechend bereitete sich der Herzog auf den vom Geist dafür vorgegebenen Termin mit Fasten, Beten, Singen und Bibellesen vor. Bevor er sich an dem entsprechenden Tag sowie Stunde wie gehabt in sein Kabinett aufs Bett legte, stellte er vorsichtshalber eine Wache vor seine Tür, die kein menschliches Wesen zu ihm vorlassen solle. Dennoch klopfte es zu gegebener Stunde bei ihm am Ruheraum an und auf seinen Ruf trat erneut Annas Geist herein. Sie erklärte nochmals ihr Anliegen und leugnete, einen Fehltritt zu menschlicher Zeit begangen zu haben und sei also zu Unrecht von Johann Casimir mit Hass verfolgt worden. Sich nach dieser Äußerung verabschiedend, erklärte Anna in der kommenden Nacht um elf Uhr erneut zu erscheinen, dann aber auch den Geist ihres ehemaligen Gemahls mitzubringen.

Notgeldschein von 1921 mit einer Darstellung von Geistererscheinungen des Herzog Christian
Notgeldschein von 1921 mit einer Darstellung von Geistererscheinungen des Herzog Christian

Die Stunden bis dahin, verbrachte Christian in tiefer Andacht in seinem Kabinett, wo er eine Art Altar mit Kerzen, Bibel sowie Gesangbuch aufgestellt hatte. So, wie angekündet erschien pünktlich zur genannten Uhrzeit erneut Anna und trug wiederum ihren Wunsch vor. Danach trat Johann Casimir in altfürstlicher Tracht, das Gesicht in blasser Todesfarbe in den Raum. Er gab nun einen ganz anderen Bericht von den damaligen Ereignissen ihres Ehekonfliktes ab. Ohne beide weiter zu befragen verkündete der Herzog autokratisch, dass Anna von Johann Casimir unrechtmäßig behandelt worden war. Auf jeglichen Widerspruch

verzichtend, bejahte das nun letzterer. Daraufhin legte Herzog Christian beider Hände ineinander, wobei sich Johann Casimirs eiskalt angefühlt haben sollen, Annas dagegen warm. Christian sprach über beide Geister den Segen, worauf sie Amen sagten. Darauf begann er ein geistliches Lied zu singen, in das die beiden ebenfalls einstimmten. Vor ihrem Abgang verkündete merkwürdiger Weise Anna zum Herzog prophetisch, was einen Fingerzeig auf den ganzen Sinn der Komödie geben könnte: „den Lohn wirst du von Gott bekommen, und bald bei uns sein“. Das erschreckte diesen abergläubischen Mann aber offenbar überhaupt nicht; er verstarb erst 2 Jahre darauf, merkwürdiger Weise dennoch schon relativ früh mit 54 Jahren. Obwohl keinerlei Zweifel an der Echtheit der Erscheinungen habend, befragte der Herzog in der Folge die Wache vor seinem Kabinett. Die behauptete keine Personen zu ihm eingelassen und auch nur seine Stimme im Raum gehört zu haben.

Eisenberg um 1650
Eisenberg um 1650

Sofort berichtete Christian an Hoffkuntze von dem neuen Auftritt der Geister von Anna sowie Johann Casimir und welches große Werk der Versöhnung er zwischen ihnen vollbracht habe. Von dem Superintendent dürfte das Geschehen sodann sehr schnell am Dresdner kursächsischen Hof Verbreitung gefunden haben und von dort weiter an andere Höfe. Über seine vielen, ebenfalls vom Herzog informierten Briefpartner wurden die Ereignisse jedoch auch in der Gelehrtenwelt weithin bekannt. Alle diese Kreise versetzte die Geisterscheinung in helle Aufregung. Die wenigen Zweifler, die diese als Komödie bezeichneten, ignorierte man oder brachte sie mit mancherlei Scheinargumenten von der Glaubwürdigkeit der Ereignisse zum Schweigen.

Wer die Beteiligten an dem Schauspiel in Eisenberg waren ist natürlich unbekannt. Vermuten lässt sich allerdings, da selbst die Türwachen das Spiel mitmachten, dass die Gemahlin des Herzogs, Sophie Marie von Hessen–Darmstadt (1661–1712), dessen Initiatorin war. Vielleicht wollte sie ja ihren verschwenderischen, seine Finanzen völlig ruinierenden und zudem geistig meist abwesenden Gemahl zu Tode erschrecken und damit loswerden. Aber auch die in Eisenberg tätige und wohl der Herzogin sehr verbundene Hofmeisterin Frau von Unruh kommt als Urheberin in Frage. Die Auftraggeber sowie die eigentlichen Akteure, wofür man offenbar extra Christian unbekannte Personen engagiert hatte, dürften kaum mit einem derartigen Aufsehen ihrer Inszenierung gerechnet haben. Das veranlasste sie sicher erst recht in der Folge eisern darüber zu schweigen.

Die Geistergläubigen jeglichen sozialen Standes waren allerdings über die Ereignisse befriedigt und nun der Meinung, dass Anna endlich auf Grund der Versöhnung mit ihrem ehemaligen Gemahl Johann Casimir ewige Ruhe in ihrem Grab gefunden habe.

Eine weiterführende Biografie mit dem Schicksal der unglücklichen Herzogin Anna: „ Wenig und bös war die Zeit meines Lebens - Anna von Sachsen (1567–1613)“, von Hans-Joachim Böttcher, brachte der Dresdner Buchverlag Ende Juni 2016 heraus.



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Bilder:

  • Herzog Christian von Sachsen-Eisenberg (gemeinfrei)
  • Anna von Sachsen (gemeinfrei)
  • Johann Casimir von Sachsen-Coburg (gemeinfrei)
  • Notgeldschein von 1921 mit einer Darstellung von Geistererscheinungen des Herzog Christian (gemeinfrei)
  • Eisenberg auf einem historischen Kupferstich von um 1650 (gemeinfrei)
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