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Familie Stauffenberg: Hitlers Rache

Ursula Brekle

Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg war als Ehefrau von Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der Schlüsselfigur im Widerstand gegen Hitler, von Anfang an in die Widerstandspläne ihres Mannes einbezogen. Sie bewies Mut und Stärke, obwohl sie nach der Ermordung ihres Mannes im Gefängnis und im KZ leben musste. Auch durch den Verlust von Angehö-rigen durchlebte sie eine leidvolle Zeit. Nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 drohte Himmler:
„Die Familie Stauffenberg wird ausgelöscht bis ins letzte Glied.“
Vor Ihnen liegt die spannungsreiche Geschichte, die beweist, dass es Himmler nicht gelungen ist, die Drohung wahrzumachen. Die jüngste Tochter von fünf Geschwistern Konstanze wurde noch während der mütterlichen Haft geboren. Sie berichtete vom 90. Geburtstag ihrer Mutter Nina, auf dem über 40 Nachkommen zusammengekommen waren. Die Nationalsozialisten haben trotz Hinrichtungen und perfider Sippenhaft nicht gewonnen.

Der starke Hans

Der starke Hans

Florian Russi

In Tannroda lebte einst ein Mann, der wegen seiner Kraft und Größe von allen gefürchtet wurde. Hans, so hieß er, war der Sohn einfacher Leute. Niemand konnte sich erklären, warum er schon mit 18 Jahren so groß und stark war, dass er ohne Mühen Pferdewagen ziehen und Türen und Tore aufbrechen konnte.

Eines Tages stellte sich Hans auf den Marktplatz auf und rief: »Ich bin der Stärkste im Dorf. Alle müssen tun, was ich sage. «

»Du spinnst wohl«, meinte der Dorfvorsteher, der gerade des Wegs kam, und tippte sich an die Stirn.

Er hatte kaum ausgesprochen, als Hans ihn ergriff und so fest an sich drückte, dass der Bürgermeister vor Schmerzen aufschrie, nach Luft rang und hastig dem Hans versprach, in Zukunft alles zu tun, was dieser von ihm forderte. Einen Handwerksburschen, der dem Bürgermeister zu Hilfe geeilt war, wirbelte Hans durch die Luft und schleudert ihn mehrere Meter weit. »Wer will noch meine Kraft spüren?«, rief er dann, und alle anderen Anwesenden liefen schreiend davon.

Von da an traute sich kaum noch einer, dem Hans zu widersprechen oder einen seiner Wünsche nicht zu erfüllen. Jeder, den er zu sich rief, trat mit Furcht und Beklemmung vor ihn. Alle waren froh, wenn sie ihm aus dem Weg gehen konnten. Ein paar Gleichaltrige fassten sich ein Herz, gingen auf Hans zu und sagten: »Wir kennen uns alle von Kindheit an, und keiner von uns ist so stark wie du. Um des Friedens willen sollten wir vereinbaren, dass es so bleibt wie bisher und niemand einem anderen etwas zu leide tut. « Hans lachte laut auf und erwidert: »Das könnte euch so gefallen, aber nicht mit mir. Der Stärkste setzt sich durch, und alle andren müssen gehorchen. So ist es in der Natur und im wahren Leben. « Um seinen Anspruch zu verdeutlichen, ergriff er den größten seiner Kameraden und spaltete ihm mit der Faust unter lautem Krachen den Schädel. Jetzt wagte es keiner mehr, sich dem Hans zu widersetzen. Überall wurde getan, was er verlangte.

Der Kleinste und Schmächtigste unter den Dorfjungen hieß Klaus und wurde von den anderen als Schwächling und Feigling verachtet. Dieser ging eines Tages auf Hans zu und sagte: »Du weißt, wie schwach ich bin. Weil ich aber einen wachen Verstand habe, erkenne ich auch, dass du ein sehr gutmütiger Mensch und nicht nur stark bist, sondern auch edel und großzügig. « »Dir etwas anzutun wäre unter meiner Ehre. «, antwortete Hans, »aber ich weiß intelligente Menschen wie dich zu schätzen. «

»Deine Stärke ist so ungeheuer, du bist ausersehen, Großes zu leisten«, fuhr Klaus fort. »Dein Ruf verbreitet sich wie ein Lauffeuer im ganzen Land. Du solltest auch andere deine Macht spüren lassen! «

»Das ist eine gute Idee«, erwiderte Hans. »Lass‘ uns also aufbrechen, und ich werde im ganzen Land Furcht und Schrecken verbreiten. «

So machten sie sich auf, und als sie an einer Mühle vorbeikamen, meinte Klaus: »Was fällt dem Mühlrad ein, sich von deinen Augen zu drehen? Halte es an und zeige ihm, wer den Lauf der Dinge bestimmt. «

Als Hans und Klaus weitergingen, lag mitten auf ihrem Weg ein schwerer Felsbrocken. »Was maßt sich der Felsbrocken an, sich dir in den Weg zu stellen? Räume ihn beiseite und zertrümmere ihn. « Gesagt, getan: Sie gingen weiter und legten sich nach einiger Zeit zum Rasten im Schatten einer riesigen Eiche nieder. Als sie wieder aufwachte, hatte sich die Sonne gedreht und schien ihnen mitten ins Gesicht. »Was traut sich die Eiche, dir keinen Schatten mehr zu spenden? «, rief Klaus erregt. »Reiße sie aus und werfe sie ins Moor, damit sie dort verrottet.«

Wieder tat Hans, wie Klaus ihm vorgeschlagen hatte. Zufrieden stellte er fest, dass einige Hirten und Bauern ihn beobachtet hatten und eiligst davon geflohen waren.

Bald kamen sie an einer Wiese vorbei, auf der ein prächtiger Zuchtbulle graste und schnaubte. »Warum schnaubt er und neigt nicht ehrfurchtsvoll seinen Kopf vor dir. «, empörte sich Klaus. »Lehre ihn, sich ehrerbietig zu verhalten!«

Schon trat Hans den Weidezaun nieder, ging auf den Stier zu und schrie: »Was willst du gegen mich, du Wurm?« Der Stier senkte den Kopf und rannte auf Hans los, um ihm seine Hörner in den Leib zu rammen. Hans jedoch ergriff die Hörner, verbog dem Stier den mächtigen Hals und brach ihm das Genick.

»Du bist wirklich der Allergrößte«, rief Klaus und klatschte in die Hände. Sie gingen weiter und kamen am Abend zu einem Gasthof. Der Wirt und seine Familie waren geflüchtet und hielten sich in der Nachbarschaft versteckt. Die Kunde vom starken Hans war schon bis zu ihnen gedrungen. Die beiden Männer stiegen die hohe Treppe zu den Gästezimmern hinauf. Dort brach Hans eine Tür auf und ließ sich auf einem Bett niederfallen.

»Hol mir zu essen und zu trinken«, befahl er barsch. Klaus verbeugte sich artig und verließ das Zimmer. Als er zurückkam, konnte er erkennen, dass dem Hans die Hände zitterten. »Der Wirt ist zurückgekommen, hat aber seinen Wein, den Schinken und die Würste im Keller eingeschlossen«, erklärte Klaus. »Er verlangt Schadensersatz für den toten Stier, der ihm gehört hat. «

»Dem werd ich’s zeigen«, empörte sich Hans. Mühsam richtete er sich auf und tastete sich im dunklen Flur zur Treppe. Nun bemerkte Klaus, dass seinem Begleiter auch die Knie zitterten. Geschwind war er hinter ihm, und als Hans nach dem Geländer tastete, stieß er ihm mit dem Fuß in die Kniekehlen, so dass er den Halt verlor und die Treppe hinunterstürzte. Dabei schlug er mehrmals mit dem Kopf auf und verdrehte sich den Hals. Nun war es an Hans, erbärmlich zu schreien und zu stöhnen. »Du Schwächling hast es gewagt, mich zu berühren«, ächzte er. »Laufe sofort und hole einen Arzt, oder ich zertrümmere dein Gesicht. «

»Wie du befiehlst«, antwortete Klaus, lief auf die Straße und schrie: »Hilfe, der starke Hans will mir den Schädel spalten. Er kocht vor Wut und braucht Hilfe…Hilfe! «

Die Leute auf der Straße hörten es und verdrückten sich in ihre Häuser. Erst ein paar Tage später wagten sich einige in das Wirtshaus. Dort fanden sie Hans tot auf dem Boden liegend.

Klaus aber kehrte nach Tannroda zurück und erklärte jedem, der es hören wollte: »Was wäre die Welt ohne die Schwachen? «


*****

Bildquelle:

Vorschaubild: 2003 in Tannroda, Urheber: Michael Köhler via Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0.

Textquelle:

Text entnommen aus: Russi, Florian: Der Drachenprinz, Weimar: Bertuch Verlag, 2004, S.129-131.

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