Sucht man Saufeld auf der Landkarte ist es vergebliche Liebesmüh. Fragt man Einheimische, schicken sie den Fremden nach Thangelstedt. Versteckt liegt es in sanfte Hügel und dichte Wälder gebettet, abseits der Touristenwege, klein, unscheinbar und dem Anschein nach unbedeutend. Doch Thangelstedt - mit seiner Handvoll Menschen, einer noch funktionierenden Dorfkneipe mit wunderbar Hausgeschlachtetem und einem alten Herrenhaus - ist nicht nur von einer bezaubernden Landschaft umgeben. Nein, es ist ein überaus geschichtsträchtiger Ort und hiermit ist ausnahmsweise mal nicht der ehrenwerte Herr Geheimrat gemeint, obwohl in unmittelbarer Nähe der „Goethewanderweg" in Richtung Groß Kochberg verläuft. Alt ist das Dorf und wenn Orte sprechen könnten, gäbe es viel zu erzählen.
Bis ins frühe Mittelalter reicht seine Geschichte zurück. Genauer gesagt, bis ins Jahr 954. Suveldun steht in der Chronik, aus dem dann knapp 100 Jahre später Sufeld und 1319 letztendlich Saufeld wird. Sprachlich eindeutig: su=die Wildsau. Wildschweine gab es hier laut Überlieferung zur Genüge. Doch nicht nur das Borstenvieh bevölkerte die dichten Wälder. Eber, Wölfe, Bären, Hirsche, Rehe und Auerwild machten diese Gegend zu ergiebigen und beliebten Jagdgründen, wo sich laut Überlieferung auch der ein oder andere Gewichtige seiner Zeit vergnügte. So auch Otto I.
Otto der Große, der mächtige deutsche Kaiser, jagte 954 bei Sulvedun. Ob aus Leidenschaft oder um sich abzulenken, man weiß es nicht. Fakt ist, er hatte zu dieser Zeit ziemlich Ärger mit seinem Sprössling Liudolf, Herzog von Schwaben, der mit Konrad von Lothringen (Konrad der Rote) und Freunden versucht hatte, seinen Vater vom Thron zu stürzen. Sie zettelten einen erbitterten „Bürgerkrieg" an, der von 952-954 tobte. Doch Otto schlug den Aufstand erfolgreich nieder. Und nun wurde Sulvedun/Saufeld nicht nur Zeuge eines historischen Ereignisses sondern auch einer herzzerreißenden Begegnung zwischen Vater und Sohn: Liudolf passte seinen Vater ab, näherte sich ihm reuemütig mit entblößten Füßen, warf sich vor ihm hernieder und bat, ihn wieder als Sohn anzunehmen. Zu Tränen gerührt nahm Otto den verlorenen Sohn in seine Arme. Wenige Tage später auf der Reichsversammlung zu Arnstadt erfolgte dann die vollständige Aussöhnung. Womit Liudolf jedoch nicht gerechnet hatte: Sein Herzogtum Schwaben behielt Papa ein - Strafe muss sein.
Otto und Liudolf waren zwar mit Abstand die berühmtesten aber bei weitem nicht die letzten Blaublüter auf Saufelds Boden. Die Grafen von Thangel ließen sich sogar häuslich nieder und residierten auf ihrem Rittergut lange genug, um aus Saufeld Thangelstedt werden zu lassen. Doch ein jahrhundertalter Name lässt sich so schnell nicht tilgen. Noch in den Gemeinderechnungen wurde der Ort bis 1800 Saufeld genannt und auch heute noch ist Thangelstedt in der Bevölkerung als Saufeld bekannt.
Hartnäckig hält sich auch die Bezeichnung "Schloss" für das, was eigentlich ein Herrenhaus ist und in dem die Grafen von Thangel residierten. In unmittelbarer Nähe von Kirche und Schenke gelegen (auch zu damaliger Zeit galt: wichtige Wege müssen kurz sein), offenbart sich dem Besucher ein wunderschönes Fleckchen Erde: Umgeben von uralten Mauerresten schmiegt sich das ehrwürdige graue Gemäuer an einen Wiesenhang, umgeben von alten Obstbäumen, gackernden Hühnern und manchmal grasenden Pferden. Dort, wo einstmals der Schlossteich gewesen sein mag, erhebt sich eine riesige Trauerweide deren Zweige sich wie ein grüner Dom schattenspendend über einen wölben und die Außenwelt vergessen lassen. Tritt man durch die alte Tür, über der noch das eingehauene gräfliche Wappen zu erkennen ist, empfängt einen trotz hochsommerlicher Temperaturen die angenehme Kühle dicker Mauern. Generationen von Füßen, Stiefeln, Holzpantinen haben auf dem Steinfußboden und Holztreppen ihre Spuren hinterlassen: abgewetzt, durchgetreten, schief und krumm haben sie 500 Jahre im wahrsten Sinne des Wortes erlebt und überstanden. Ob sie wohl auch die weiße Frau gesehen haben, wie sie zur mitternächtlichen Stunde schon so manchem erschienen ist? Ob sie wissen, warum diese arme Seele keinen Frieden findet, ruhelos umherirrt und sich von diesem Ort nicht lösen kann?
Wer sie ist, weiß niemand so recht, aber Geschichten über sie gibt es zur Genüge: Frühere Bewohner des Schlosses berichten heute noch über das unheimliche Gefühl der Anwesenheit eines unsichtbaren Dritten, über Alpträume, in denen sich eine Erscheinung wispernd über sie beugt... An dieser Stelle sei von einem Holländer berichtet, der mit seinen beiden Hunden für eine Nacht um Quartier im Schloss bat. Kurz vor Mitternacht ging er mit den Tieren noch eine kleine Gassirunde, die mit einem schreckensbleichen Herrchen, völlig verängstigten Hunden und einer überstürzten Abfahrt endete: allen dreien war die weiße Frau erschienen.
Doch warum soll es den Geistern nicht gehen wie den Lebenden? Gibt es nicht auch für uns so manchen Ort, woran das Herz hängt und Wiederkehr zum Bedürfnis wird? Den heutigen Bewohnern des Schlosses ist die weiße Frau anscheinend wohlgesonnen, kleine Füße trappeln hoch und runter, Kinderlachen schallt durchs alte Gemäuer, Fröhlichkeit ist Dauergast in dem großen grauen Haus. Gezeigt hat sie sich seither niemandem mehr, doch wer weiß: Wenn Kinderaugen Hexen, Zauberer und Monster sehen können, dann bestimmt auch die weiße Frau von Thangelstedt...
*****
Fotos: Florian Russi
Die Abbildung "Otto der Große" stammt aus dem Buch "Die deutschen Kaiser" von Max Barack (Quelle: Wikimedia commons).