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Krabat

Florian Russi | Andreas Werner

Krabat ist die bekannteste Sagenfigur aus der Oberlausitz. Das Müllerhandwerk und das Zaubern hatte er vom "schwarzen Müller" erlernt, von dem man gemunkelte, dass er mit dem Teufel im Pakt stand. Irgendwann musste es zum Machtkampf zwischen Meister und Schüler kommen.

Die Hauptwirkungsstätte Krabats war die Mühle in Schwarzkollm, einem Dorf, das heute zu Hoyerswerda gehört. Die Mühle besteht noch und hat nach umfänglicher Restaurierung nichts von ihrer Romantik und Magie verloren. Seit 2012 finden hier die Krabat-Festspiele statt.

Die steinerne Jungfrau

Die steinerne Jungfrau

Florian Russi

Zum Bildhauer Berthold in Bad Berka kam eines Tages der reiche Kaufmann Karl mit seiner Tochter Isolde. »Schau dir meine Tochter an«, sagte Karl zu Berthold, »wie unvergleichlich schön sie ist. Besorge den besten Marmor, den du bekommen kannst, und meißle daraus Isoldes Ebenbild, so edel und naturgetreu, wie es dir nur eben möglich ist«

Karl bot Berthold tausend Golddukaten, und der fuhr sofort nach Italien und Griechenland und suchte dort nach dem geeignetsten Stein für das geplante Werk. Schließlich hatte er ihn gefunden, und jeden Tag erschien in seinem Atelier Isolde in Begleitung ihrer Mutter, um ihm Modell zu stehen. Der Bildhauer durfte sie ansehen, aber nicht berühren. Sie war von unübertrefflicher Schönheit, und diese beflügelte ihn. Innerhalb nur weniger Wochen hatte er ihr marmornes Ebenbild fertiggestellt.

Karl war sehr zufrieden mit dem Ergebnis und rief entzückt: »Die steinerne Jungfrau ist meiner Tochter zum verwechseln ähnlich. Ich werde sie deshalb Bisolde, nämlich zweite Isolde nennen.«

Er nahm Bisolde mit in sein Haus nach Erfurt und zeigte sie stolz seinen Gästen.

Wenige Zeit später stürzte seine Tochter Isolde bei einem Reitunfall so unglücklich, dass sie sich einen Arm brach. Die chirurgische Kunst stand zu dieser Zeit noch in ihren Anfingen, und so drohte der Arm zu verkrüppeln und zu verfaulen. Da drängte Isolde ihren Vater: »Fahre mit mir und Bisolde zu Berthold. Er soll Bisoldes Arm abtrennen und mir anfügen.«

So geschah es. Isolde konnte wieder ihrer Leidenschaft frönen und weite Ausritte unternehmen. Viele heiratswillige junge Männer umwarben sie. Doch Isolde fand die meisten von ihnen langweilig und sagte zu jedem: »Nie wirst du mich so sehr verwöhnen können, wie mein Vater dies getan hat und auch weiterhin tut.« Mit Jonas, einem der Freier, schien sie sich etwas besser zu verstehen. Zusammen ritten sie aus und erkundeten gemeinsam die Felder, Wiesen und Wälder um Erfurt. Sie stiegen einen Hochsitz hinauf, und Jonas versuchte, ihr Halt zu geben. Als sie ihre steinerne Hand in die seine legte, zuckte er für einen Augenblick vor deren Kälte zurück. Da stützte Isolde zu Boden und brach sich das linke Bein. Von Jonas wollte sie von da an nichts mehr wissen. Ihren Vater bedrängte sie, mir ihr zu Berthold zu fahren. Der musste Bisolde das linke Bein abtrennen und damit das kranke Bein ersetzen.

Isolde wurde zunehmend eitler und launischer. Neidisch schaute sie jeden Tag auf die Figur von Bisolde, die nur noch mit einem Bein und einem Arm da stand. »Sie hat strammere Brüste als ich«, sagte Isolde schließlich zu ihrem Vater, »Fahre mit mir zu Berthold, damit er mir ihre Brüste einsetzt.«

Wenig später beschaute sich Isolde vor dem Spiegel und befand: Warum habe ich keinen so knackigen Popo wie Bisolde? Habe ich doch Modell für sie gestanden, und ist sie nur mein Ebenbild. Sofort eilte sie wieder zu ihrem Vater. Er möge doch veranlassen, dass Bisoldes strammes Hinterteil gegen ihr schlaffer gewordenes ausgetauscht werde.

Eines Tages erkrankte Isolde an den Pocken. Als sie im Spiegel ihr von braunen Pusteln übersätes Gesicht sah, schrie sie entsetzt auf und verlangte sofort, Bisoldes Kopf mit seinem makellosen Antlitz aufgesetzt zu bekommen.

Kaum war dies geschehen, öffnete der neue Kopf seine Lippen und forderte energisch, dass auch die noch fehlenden Teile hinzugefügt und Bisolde wieder so hergestellt werden sollte, wie sie ursprünglich aussah. Ihre Schönheit wurde weithin gerühmt, und Vater Karl war unendlich stolz auf seine steinerne Tochter.

Eines Tages fuhr er wieder mit ihr zu Berthold nach Bad Berka und sagte ihm: »Ich will Bisoldes Schönheit ein dauerhaftes Denkmal setzen und bitte dich, auch von ihr ein marmornes Ebenbild anzufertigen.« »Eine dritte Isolde also«, nickte Berthold zustimmend. »Ihr Name wird demgemäss Trisolde sein.«

Karl versprach Berthold wieder tausend Dukaten für die baldige Vollendung des Werkes. Dann verabschiedete er sich und ließ Bisolde im Vertrauen auf ihre Standhaftigkeit alleine zurück.

Als sie nackt vor ihm stand, streichelte Berthold Bisolde vom Kopf bis zu den Füßen und rief entzückt: »Ja, du bist es noch, meine wunderschöne und geliebte Bisolde!« Da erwiderte sie seine Zärtlichkeiten, und die Beiden entflammten in stürmischer Liebe zueinander. Den ganzen Tag über hatten sie nur Zeit für sich und ihre sinnlichen Triebe.

Schließlich drängte Karl auf Fertigstellung von Trisolde. Berthold kaufte den schönsten und teuersten Marmor, den er bekommen konnte, und machte sich daran, Bisoldes Schönheit in einem weiteren Kunstwerk festzuhalten, immer wieder lief er von einer Statue zur anderen, streichelte darüber und verglich, ob er auch jedes Körperteil getreu wiedergegeben habe. Am Ende war er zufrieden, und Trisolde, die dritte Isolde, stand in strahlender Schönheit vor ihm.

Karl hatte gedroht, den Auftrag zurückzuziehen, wenn das Werk nicht bald zu Ende gebracht würde. Deshalb sandte ihm Berthold sofort die Botschaft, dass er nunmehr Bisolde und Trisolde bei ihm abholen könne.

Eine letzte Liebesnacht verbrachte er noch mit Bisolde. Als er danach in tiefen Schlaf fiel, verließ diese das gemeinsame Lager. Sie ging in Bertholds Atelier, ergriff

Hammer und Meißel und schlug in rasender Eifersucht Trisolde in tausend Stücke.

Als anderntags Karl erschien, um Trisolde erstmals zu sehen, fand er nur noch einen Haufen unkenntlicher Scherben vor. »Wie konnte das geschehen?«, jammerte Berthold voller Verzweiflung. »Ein Vermögen habe ich für den Marmor gezahlt Jetzt bin ich ruiniert!«

»Scherben habe ich nicht bei dir bestellt«, erwiderte Karl ungerührt. »Dafür werde ich auch nicht bezahlen.« Er nahm Bisolde an der Hand und führte sie nach Hause. Dort angekommen, umarmte er sie zärtlich und sagte: »Leider hatte ich bisher nie genug Zeit für dich, mein Liebling. Ich verstehe, dass du eifersüchtig wurdest und verspreche dir, nie wieder ein Abbild von dir anfertigen zu lassen. Nur noch für dich allein werde ich Vater und Ernährer sein.«

 

*****
Textquelle: „Der Drachenprinz", Bertuch Verlang GmbH Weimar, 2004; (ISBN-Nr.: 3-937601-08-2)

Teaserfoto: Zeichnung von Herrn Dieter Stockmann aus dem Buch „Der Drachenprinz"

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