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Mitgelaufen

Christoph Werner

Das Buch „Mitgelaufen“ ist nicht wie andere Bücher über das Leben in der DDR. Hier liegt nicht der Fokus auf Mangelwirtschaft, einer allmächtigen Partei und der Staatssicherheit. Der Autor ist auch kein Opfer des Regimes, dem schreckliches widerfahren ist. Er gehört zu der großen Masse derjenigen, die sich als Rädchen im Mechanismus der DDR-Diktatur gedreht haben. Christoph Werner bricht mit seinem Buch das Schweigen der Mitläufer. Er stellt sich seiner eigenen Vergangenheit und dem Wissen, dass er selbst durch seine Zurückhaltung oder auch lautstarke Zustimmung das alte System lange am Leben erhalten hat. Jahrzehnte nach dem Mauerfall eröffnet er damit vor allem der heranwachsenden Generation, welche die DDR nur noch vom Hörensagen kennt, einen ganz neuen Blickwinkel auf ihre Geschichte.

Ohne Anklage und ohne den Versuch der Rechtfertigung wagt er eine kritische Betrachtung aus dem eigenen Erleben und gewährt Einblicke in eine vergangene Zeit.
Möge der Leser nicht mit dem Zeigefinger auf ihn zeigen, sondern sich fragen, wie oft er heute selbst dem Mainstream folgt oder mutig zu sich selbst und seiner Meinung steht.

Das Lied vom Hütes

Das Lied vom Hütes

Rudolf Baumbach

„Hütes" werden im südlichen Thüringen die begehrten Kartoffelklöße genannt, die unter dem Namen „Thüringer Klöße" über Deutschland hinaus bekannt sind. Liederdichter Rudolf Baumbach hat ihnen ein eigenes Gedicht gewidmet.

N.N.

Mit hoher Freude sah Frau Holle
Den Segen der Kartoffelknolle,
Wenn sie mit leisem Geistertritt
Unsichtbar durch die Häuser schritt.
Sie sah, wie sich die Hausfrau mühte,
Die Erdfrucht röstete und brühte,
Wie sie mit Butter oder Schmalz,
Mit Kümmel oder scharfem Salz
Mitunter auch durch einen Harung
Gab Würze der Kartoffelnahrung.

Das alles sah Frau Holle an
Und hatte ihre Freude dran,
Und dennoch dachte sie bei sich:
„Ihr armen Leute dauert mich.
Noch habt ihr leider nicht entdeckt,
Was hinter der Kartoffel steckt
Und was die kund'ge Hand für Werke
Kann schaffen aus Kartoffelstärke."

So sprach Frau Holle, und alsbald
Ging sie in Küchenmagdgestalt
Bescheiden durch das Schlundhausthor
Und stellte sich dem Schlundwirth vor,
Der schmunzelnd auf die Köchin blickte
Und flugs sie in die Küche schickte.
Da stand sie nun in weisser Schürze
Und klapperte mit Topf und Stürze
Und liess den Wirth und seine Frauen
Ein seltsam Küchenkunststück schauen.

Der Bürgermeister jener Zeit,
Ein braver Mann und sehr gescheit,
Rechtgläubig, streng und sittenrein,
Wie stets die Bürgermeister sein -
Derselbige kam dazumal
Ermüdet aus dem Sitzungssaal,
Als eben aus dem Erdgeschoss
Ein süsses Duften sich ergoss,
Und schlau verfolgend die Gerüche
Kam der Gestrenge in die Küche.
Am Herde fand er stehn Frau Holle,
Und der geschwärzten Casserolle
Entstieg soeben riesengross
Ein dampfender Kartoffelkloss.

Die Göttin aber lichtumflossen
Von rothem Schimmer übergossen
Nach Art der überird'schen Geister
Stand blendend vor dem Bürgermeister
Und sprach: „Nun hab' ich euch gelehrt,
Wie man die Frucht, die ich bescheert,
Den Apfel aus der Erde Schoosse
Gestaltet zum Kartoffelklosse.
Wie man das Mark zerquetscht geschickt
Und wie man's rundet, wie man's spickt
Mit Bröcklein zart gebräunter Wecken.
Langt fröhlich zu und lasst's euch schmecken.
Du aber, Haupt des Magistrates,
Du leuchtend Licht des weisen Rathes,
Du Sohn uralten Stadtgeblütes,
Hier hast du das Receptum. - Hüt' es! "
Frau Holle sprach's, da war sie fort,
Ihr Werk, der Kloss, blieb aber dort.

Viel Wasser Werra-abwärts wallte,
Seitdem Frau Holle Klösse ballte,
Die heut in Stadt und Land zumeist
Der Mund des Volkes „Hütes" heisst.
Wohl hat der Bürger längst vergessen,
Wem er verdankt das Götteressen,
Um's Leben aber liess' er nicht
Von seinem Sonntagsleibgericht,
Das ihm die Magenwand umkleistert
Und ihn zu hoher That begeistert.
Wenn ihn der Wintersturm umtost,
Giebt ihm der Hütes Kraft und Trost.
Und kommt der Mai und grünt und blüht es,
Dann speist er freudig seinen Hütes,
Und trinkt er von des Todes Kelche,
So fragt er: „Giebt's auch drüben welche?"

Der dies gebracht in Vers und Reim,
Ist auch zu Haus in Hütesheim.
Er sang, als er am Südmeer sass
Und schnöde Maccaroni ass.
Und wie er ass und wie er sang,
Das bittre Heimweh ihn bezwang.
Ihm war's beim Maccaroniessen,
Als knarrten fern Kartoffelpressen
Und ob sich zöge durch die Luft
Ein heimatlicher Hütesduft.
Er sendet dieses Lied als Gruss
Gen Meiningen am Werrafluss.
Empfangt es fröhlichen Gemüthes.
Fahrt wohl! - Das ist das Lied vom Hütes.

 

 

*****

Vorschaubild: Rita Dadder

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