Was mit einem munteren Frühlingslied seinen Anfang nimmt, entwickelt sich zum Liebeslied und endet mit viel Abschiedsschmerz. Mit „Buhl“ meint der Dichter die Geliebte, vor deren Fenster nach altem Brauch „ein Mai (…ge)hauen“, also eine junge Birke gepflanzt wird. Ihr Verehrer wird von der Herzensdame empfangen und sogar ein harmloser Kuss auf die Wange wird ihm als Dank zuteil. So weit so gut, sollte das Liebespaar nun Glück verspüren und die Frühlingsgefühle gemeinsam in vollen Zügen genießen können. Doch leider muss der Geliebte noch heute aus dem Ort weiterziehen. Aus welchem Grund, wird nicht erzählt. Nur drängt am Tor bereits die Wache den jungen Mann dazu, bald aufzubrechen. Und so bleibt ihm nichts anderes übrig.
Die erste Strophe und die fröhliche und unbeschwerte Melodie lassen den weiteren Fortgang der Geschichte nicht ansatzweise erahnen. Auch in der zweiten Strophe ist der Leser oder Singende noch voller Zuversicht, dass sich das Liebespaar finden wird. Die Melodie wurde in Volksweise überliefert. Da der Text erstmalig in niederländischer Sprache erschienen ist, lässt sich vermuten, dass auch die dazu gehörige Melodie aus dieser Region stammt. Im deutschsprachigen Raum erlangte das Stück erst nach Übersetzung durch Franz Magnus Böhme ins Deutsche einen zunehmenden Bekanntheitsgrad und ist heute wieder stark in Vergessenheit geraten.
Carolin Eberhardt
Der Winter ist vergangen, ich seh‘ des Maien Schein,
ich seh die Blümlein prangen, des ist mein Herz erfreut.
So fern in jenem Tale, da ist gar lustig sein,
da singt die Nachtigalle und manch Waldvögelein.
Ich geh, ein Mai zu hauen, hin durch das grüne Gras,
schenk meinem Buhl die Treue, die mir die Liebste was.
Und bitt, dass sie mag kommen, all vor dem Fenster stahn,
empfangen den Mai mit Blumen, er ist gar wohl getan.
Und als die Säuberliche sein Rede hätt‘ gehört,
Da stand sie traurigliche, indes sprach sie die Wort:
„Ich hab‘ den Mai empfangen mit großer Würdigkeit!“
Er küsst sie an die Wangen, war das nicht Ehrbarkeit?
Er nahm sie sonder Trauern in seine Arme blank,
der Wächter auf der Mauern hub an ein Lied und sang:
„Ist jemand noch darinnen, der mag bald heimwärts gahn.
Ich seh‘ den Tag herdringen schon durch die Wolken klar.“
„Ach Wächter auf der Mauern, wie quälst du mich so hart!
Ich lieg in schweren Trauern, mein Herze leidet Schmerz.
Das macht die Allerliebste, von der ich scheiden muss;
das klag ich Gott dem Herren, dass ich sie lassen muss“.
Ade, mein Allerliebste, ade, schöns Blümlein fein,
ade, schön Rosenblume, es muss geschieden sein!
Bis dass ich wiederkomme, bleibst du die Liebste mein;
das Herz in meinem Leibe gehört ja allzeit dein.
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Vorschaubild: Gouache painting "O, Romeo, Romeo, Wherefore Art Thou Romeo?", 1912, Urheber: William Hatherell via Wikimedia Commons Gemeinfrei.
Notensatz: Carolin Eberhardt; © Bertuch Verlag.